Radical Technologies: The Design of Everyday Life
Das Buch »Radical Technologies« von Adam Greenfield, welches 2017 veröffentlicht wurde, befasst sich mit den Technologien, die die Welt in immer schnellerem Tempo verändern.
Über den Autor
Adam Greenfield, auch Autor von Against the Smart City, lehrte im Urban Design Program der UCL Bartlett Faculty of the Built Environment am University College London und im Interactive Telecommunications Program an der New York University. Er war Psychological Operations Specialist und später Sergeant in der Special Operations Command der US Army, Informationsarchitekt in Tokio, Head of Design bei Nokia, Rockkritiker für das SPIN Magazine, sowie Sanitäter in der Berkeley Free Clinic.
Einleitung
Unser tägliches Leben wird im Informationszeitalter von Technologien mitbestimmt, die früher nicht für möglich gehalten wurden. Kannst du dir vorstellen, noch ohne Smartphone zu leben, ohne Amazon einzukaufen oder ohne Facebook mit Freunden in Kontakt zu bleiben? Die Beantwortung dieser Frage zeigt, wie stark diese Technologien in unser Leben eingreifen. Adam Greenfield bezeichnet diese als Radical Technologies.
Trotz dieser steigenden Abhängigkeit von einem Gerät bzw. einem System, wissen wir nicht, wie diese überhaupt funktioniert. Das hindert die meisten Nutzer nicht daran, einen großen Teil des Lebens davon bestimmen zu lassen. Außerdem wissen viele wiederum nicht, inwiefern diese Technologien wiederum von anderen Faktoren abhängig sind.
Der Autor fasst unsere Beziehung mit Radical Technologies in einen Satz zusammen:
A series of complex technological systems shapes our experience of everyday life, in a way that simply wasn’t true in any previous era, and we barely understand anything about them: neither how they work, nor where they come from, nor why they take the forms they do.
In diesem Buch erfährst du unter anderem:
Wie uns die Technik hinter Pokémon Go eine neue Welt offenbart,
wie du auf Knopfdruck alles bekommst, was dein Herz begehrt,
wie Rembrandt als KI weiterlebt, und
warum du vielleicht bald nie wieder arbeiten musst.
Mit dem Smartphone vernetzen wir unser Selbst
Jeder von uns benutzt es täglich. Das Smartphone. Es ist unser ständiger Begleiter und Helfer und wir sind meistens sogar komplett von der Funktionsfähigkeit dieses Gerätes abhängig. Wenn wir zum Beispiel einen neuen Friseur aufsuchen und uns fällt das Internet aus bzw. der Akku des Smartphones ist leer, dann sind viele von uns nicht in der Lage den Weg zu finden.
Selbst unser soziales Leben wird im hohen Maß von dieser Technologie bestimmt. Wir lernen Leute kennen, schließen uns gleichgesinnten Communities an, pflegen Freundschaften und finden unsere große Liebe mithilfe des Smartphones. Wir vernetzen unser Selbst mit der Welt.
Adam Greenfield schreibt in seinem Buch folgendes:
„The smartphone is the signature artifact of our age. Less than a decade old, this protean object has become the universal, all-but-indispensable mediator of everyday life.“
Ohne Zweifel ist dieses Gerät seiner Meinung nach essentieller Bestandteil unseres Lebens. Jedoch betont er in seinem Buch auch, dass wir trotz des häufigen Gebrauchs und dem damit verbundenen hohen Vertrauen, fast nichts von der Technik verstehen. Ist blindes Vertrauen wirklich die richtige Haltung?
Der Autor spricht unter anderem weitere kritische Aspekte an:
Wir sind zu abhängig und können vieles nicht mehr ohne Smartphone bewerkstelligen.
Dematerialisierung: Viele Technologien gehen verloren und unsere Abhängigkeit steigt.
Schlechte Arbeitsbedingungen bei der Produktion der Geräte schadet den Arbeitern.
Wir sind gezwungen unsere Daten den Unternehmen zu übergeben.
Die Infrastruktur wird von Unternehmen kontrolliert, die nicht immer unser Wohl im Blick haben.
Die Verwendung des Smartphones birgt also nicht nur Vorteile, sondern wir müssen uns den Konsequenzen auch bewusst sein. Wir können diese Technologie nicht ablehnen, da unsere Gesellschaft schon zu tief mit dem Smartphone vernetzt ist. Jedoch müssen uns die negativen Aspekte und Probleme klar sein, wenn ein positiver Wandel vorangetrieben werden soll. Adam Greenfield hat dazu noch folgendes geschrieben:
„We need to understand ourselves as nervous systems that are virtually continuous with the world beyond the walls, fused to it through the juncture of our smartphones.”
Das Internet of Things ist ein planetares Netz aus Empfang und Antwort
Die nächste radikale Technologie im Buch ist in aller Munde und dringt auch tief in unser alltägliches Leben ein. Es ist das Internet der Dinge (IoT) oder auch smart everything genannt. Das ist keine abgegrenzte Technologie, sondern ein Konzept alles mit Intelligenz auszustatten. Der Autor spricht unter anderem Wearables (Apple Watch und co.), Smart Home, Digitale Helfer (wie Siri und Alexa) und die Smart City an. Außerdem wird die Philosophie des Quantified Self aufgegriffen, deren Anhänger es sich zum Auftrag gemacht haben, alles über das Selbst zu messen und in Daten zu fassen.
IoT betrifft Technologien in unserem unmittelbaren Umfeld und wir sind aus diesem Grund unter stetigen Einfluss davon. Jeder der eine ›Alexa‹ hat weiß, wie präsent diese im Alltag sein können. Nach der Idee von IoT sind alle Objekte potenzielle Kandidaten für eine smarte Erweiterung. Der Grund für diese Entwicklung lässt sich nach dem Autor in zwei zentrale Vorteile einordnen: Gemütlichkeit und Selbstverbesserung.
Adam Greenfield übt auch hier Kritik aus, die viele Menschen übersehen. Wir müssen uns Gedanken machen, ob es überhaupt Sinn macht, so viele Objekte mit einer ›Intelligenz‹ auszustatten. Der Nutzer wird abhängig von der Funktionsfähigkeit ähnlich wie beim Smartphone bzw. läuft Gefahr sich kontrollieren zu lassen. Dass die ganze Thematik ein Albtraum hinsichtlich Sicherheit und Privatsphäre ist, muss auch nicht tiefgründig erklärt werden. Jedes ›smarte‹ Gerät kann Daten sammeln und auswerten. Außerdem sind solche Geräte meist mit dem Internet verbunden und somit von Hackerangriffen gefährdet. Vor allem wenn Kameras Teil der Hardware sind, entstehen beachtliche Probleme, die aus finanziellen Gründen von vielen Herstellern nicht richtig behandelt werden können. Nicht zu vergessen sind problematische Auswertungen von Gesundheit, Sportlichkeit und Leistung, die in den falschen Händen, wie zum Beispiel dem Arbeitgeber oder der Versicherung, zu Benachteiligung und unmenschlicher Behandlung führen können.
Augmented Reality als interaktives Overlay unserer Welt
Wer hätte gedacht, dass eine Großzahl von Menschen als Freizeitbeschäftigung mal in den Park gehen, um Pokémon zu fangen? Für viele ist dadurch ein Kindheitstraum in Erfüllung begangen. Andere sind von dem Konzept fasziniert oder wollen einfach mit dem Trend mitschwimmen. Augmented Reality (AR) nennt sich diese Technologie auf dem diese Art von Applikationen basieren. Unsere Realität wird mit digitalen Elementen erweitert und wir können das mithilfe vom Smartphone, Smart Glasses oder anderen passenden Geräten einsehen. Der Bruder von AR ist die sogenannte Virtual Reality (VR) bei dem der Nutzer komplett in eine digitale Welt entführt wird.
Spätestens seit Pokémon Go ist Augmented Reality vielen ein Begriff. Auch in Zukunft wird diese Technologie mehr und mehr in unser Leben eingreifen. Orte, die in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt haben, wie zum Beispiel historische Gebäude, können wiederbelebt werden. Außerdem wird zusammen mit VR die Art und Weise wie wir mit Menschen und unserer Umwelt interagieren neu definiert bzw. stark erweitert. Mit dem passenden Gerät wäre es möglich, digitale Elemente immer sichtbar zu machen und dadurch besteht die Möglichkeit, analoge Objekte zu ersetzen.
Adam Greenfield spricht ähnlich wie beim Smartphone auch hier von einer Dematerialisierung, die unsere physische Welt mehr und mehr in Form eines digitalen Produkts abbildet. Die dadurch entstehende Abhängigkeit ist enorm und muss uns bewusst sein. Außerdem spricht er den Verlust von Realitätsbezug an und die Sucht sich in eine ›bessere‹ Welt zu flüchten. Die Art und Weise wie wir über AR (bzw. VR) kommunizieren ist weniger eindringlich und wir nehmen das Gegenüber weniger als Mensch war. Außerdem können Unfälle aufgrund von Unachtsamkeit passieren. Nicht zu vergessen sind potenzielle gesundheitliche Konsequenzen wie zum Beispiel Sehschwäche und Schwindel. Er schreibt am Ende:
„If nothing else, reality is the one platform we all share.”
3D-Drucker schaffen eine neue Politik für das Geschäft mit allem Physischen
Im Buch wird auch über die digitale Produktion gesprochen. Dies bezieht sich hauptsächlich auf 3D-Drucker wie zum Beispiel den MakerBot Replicator 2. Mithilfe von digitalen 3D-Modellen können diese Geräte ein ganzes Produkt ausdrucken. 3D-Drucker können mit unterschiedlichen Materialien ausgestattet werden und die Möglichkeiten dadurch steigen ins Unermessliche. Zum Beispiel könnte man dadurch auch Essen drucken.
Die Geräte werden immer günstiger und alltagstauglicher. Mehr und mehr stellt sich die Industrie, aber auch die Gesellschaft, auf diese Neuerung ein. Die Produktion ist dadurch für komplexe Produkte deutlich günstiger, spart Platz und weniger Arbeitskraft wird benötigt. Für Privatpersonen ist diese Technik auch von großer Bedeutung. Plötzlich können auch wir selber Dinge produzieren und unsere Abhängigkeit von Unternehmen sinkt. Wer würde nicht gerne auf Knopfdruck alles bekommen, was das Herz begehrt wie in den Cartoons der Kindheit?
Adam Greenfield möchte auch genau diesen Aspekt in seinem Buch betonen und schreibt:
„The essence of what is offered to us by digital fabrication isn’t so much the ability to satisfy a material necessity, but that you be able to do so yourself.“
Der Autor sieht gerade dieses Selbstmachen äußerst kritisch. Nur weil wir etwas machen können, heißt das nicht, dass wir es machen sollten. Die meisten Menschen verfügen nicht über das nötige Wissen, um ein einwandfreies Produkt zu erstellen. Dadurch entstehen Fehler und einige dieser 3D-Objekte werden früher oder später im Müll landen.
Adam Greenfield spricht außerdem über das Aussterben von bestimmten Industrien, das Wegfallen von Arbeitsplätzen und die damit einhergehende Abhängigkeit an eine Technologie. Nicht zu vergessen ist die immer noch vorhandene Knappheit von Material, das uns in Zukunft weiterhin verfolgen wird.
Bitcoin, die berechenbare Garantie von Wert
Wenn der Begriff digitale Währung fällt, dann denken die meisten Menschen direkt an Bitcoin. Bitcoin ist eine Währung, die mithilfe von Blockchain möglich wurde, weil dadurch Vertrauensprobleme durch Verifizierungsmöglichkeiten gelöst wurden. Blockchain ist eine Technik, die Datenblöcke in eine Kette speichert. Somit ist Bitcoin mit einer einzigartigen Blockkette von Datensätzen vergleichbar. Jede neue Transaktion verlängert diese Blockchain und jeder kann den Wert bzw. die Wahrheit verifizieren.
Mit Bitcoin und Co. haben wir nicht nur komplett neue Währungen, sondern auch eine potenzielle Geldanlage. Was für uns alle jedoch von größerer Bedeutung ist, sind die Möglichkeiten, die die Blockchain und die Erkenntnisse im Zusammenhang mit digitalen Währungen uns bieten.
Die andere Seite der Medaille wird, wie gewohnt, von Adam Greenfield beleuchtet. Das Hauptargument ist das Versagen von Bitcoin als eine tatsächlich zukunftsträchtige alternative Währung. Die Probleme sind vor allem die extremen Schwankungen im Wert und hohe Latenzen, die das ganze System mit sich bringt. Ein weiterer Nachteil ist die enorme Rechenleistung, die mit dieser Technologie verbunden ist. Es wird geschätzt, dass allein Bitcoins einen täglichen Stromverbrauch so hoch wie das ganze Land Irland vorweist. Das liegt vor allem daran, dass die Größe dieser sich stetig erweiternden Blockchain überhandnimmt. Ein weiteres Problem ist die hohe Komplexität. Die wenigsten Menschen verstehen, wie Blockchain bzw. Bitcoin überhaupt funktionieren. Selbst Profis überblicken das System nicht komplett. Das birgt unbekannte Sicherheitsrisiken und mögliche Ausnutzung von blindgläubigen Interessenten.
Blockchain, ein Grundgerüst für posthumane Institutionen
Auch wenn Blockchains meist zunächst auf Kryptowährungen reduziert werden, bieten sie ein weitaus größeres Potenzial. So veröffentlichte Vitalik Buterin im Jahr 2013 ein Whitepaper, in welchem ein Protokoll beschrieben wird, mithilfe dessen die Mängel und Probleme, die er in der Bitcoin-Blockchain sah, behoben werden könnten. Mithilfe einer Gruppe an Interessenten entstand so das Framework Ethereum. Da in jeder Blockchain alle Verarbeitungsprozesse bezahlt werden müssen, besitzt auch Ethereum eine eigene Kryptowährung: Ether. Doch, was diese Blockchain so besonders macht, ist, dass sie von Anfang an als eine einzige, massiv verteilte Rechenmaschine konzipiert wurde, die sich über das globale Netzwerk ausbreitet.
Ein solches Framework ermöglicht nie dagewesene Systeme:
Mit der verteilten Rechenleistung lassen sich hier zunächst einmal ›distributed applications‹ ermöglichen, welche auf einer dezentralen Peer-to-Peer-Basis und nicht nach dem herkömmlichen Client-Server-Modell laufen. Durch diese Struktur existiert kein zentraler Server mehr, kein einzelner physischer Ort, an dem sich das Programm befindet und daher auch kein einzelner Fehlerpunkt.
Um innerhalb des Frameworks jegliche Art von Vereinbarungen festzuhalten und umsetzen zu können, lässt sich das bereits in den 1990er Jahren entwickelte Konzept der ›smart contracts‹ implementieren. Diese intelligenten Verträge zeichnen nicht nur die Bedingungen einer Vereinbarung zwischen den Parteien in einem autonomen Programmcode auf, sondern setzen sie auch um.
Doch die größte aus dem Framework resultierende Idee ist die der ›distributed autonomous organizations‹, kurz DAOs. Die Mitglieder einer Gruppe werden dabei durch individuelle Konten in Ether- und Bestimmungen einer Vereinigung zwischen ihnen durch ein komplexes Geflecht von intelligenten Verträgen repräsentiert. Von diesen Systemen ausgehend zirkulieren Visionen von einer Föderation leichter, mobiler, nicht hierarchischer Entscheidungsstrukturen als neue Organisationsstruktur, die das System von Staaten ersetzt und neue Wirtschaftssysteme ermöglicht. Alle diese Ideen existieren jedoch bisher nur als Theorien und es bleibt abzuwarten, ob sie sich jemals als das bewähren, wozu sie erdacht wurden.
Die Auslöschung der Arbeit durch Automatisierung
Auch wenn wir Menschen mithilfe von Technologien bereits zu herausragenden Leistungen fähig sind, bleiben wir doch sterblich und unvollkommen. Die Überwindung dieser Fehlbarkeiten wird durch den Einsatz von Robotern und automatisierten Systemen als Ersatz für menschliche Arbeitskräfte ermöglicht. Damit können nicht nur billigere und weit weniger fragile Arbeitskräfte geschaffen werden. Da autonome Systeme zudem als gehorsamer angesehen werden und keine Menschenleben kosten, sollen auch Soldaten durch schnelle, billige kybernetische Kampfsysteme ersetzt werden.
Auch die Organisation der Arbeit wird zunehmend von automatisierten Systemen übernommen, bzw. von Algorithmen gesteuert. Der Arbeitsplatz selbst wird damit zum Gegenstand jeder Art von Leistungskontrolle und Kalibrierung. Bereits jetzt existieren Systeme, die Tonfall, Körperhaltung und Körpersprache, Gesprächspartner, Gesprächsdauer, Arbeitsgeschwindigkeit, Pausenzeiten, Wegstrecken, Augenbewegungen, Lippenkrümmungen und Falten erfassen und bewerten können. Da die Performancescanner technologisch recht beschränkt sind, nehmen einige Firmen auch einfach die Daten der Geräte für Perfomance-Scans, die die Mitarbeiter ohnehin tragen, wie z. B. Smart Watches.
Auch wenn seit Jahrzehnten Theorien von absoluter Freizeit durch vollständige Automatisierung und damit Eliminierung von Arbeit zirkulieren, verdeutlicht Adam Greenfield, dass Automatisierung mittelfristig eine existenzielle Bedrohung für den Lebensunterhalt mindestens der am meisten benachteiligten Arbeitnehmer, wenn nicht sogar aller Arbeitnehmer darstellt. Bei einer vollständigen Automatisierung der Arbeit stellt sich zudem die Frage: Wofür ist eine Wirtschaft da, wenn sie nicht der Erzeugung und Verteilung von Reichtum, wie ihn die Menschen erleben, dient?
Machine learning, die algorithmische Produktion von Wissen
Nicht nur bei der Überwachung von Arbeitskräften, sondern in allen Lebensbereichen werden bereits durchgehend riesige Datenmengen gesammelt, also Fakten über die Welt und die Menschen, Orte, Dinge und Phänomene, aus denen sie sich zusammensetzt. Für die Verwaltung dieser Datenströme sind nicht länger Datenbanken nutzbar, es braucht Algorithmen. Diese sollten zudem möglichst mit der Fähigkeit ausgestattet sein, aus ihren Erfahrungen zu lernen, aus dem, was ihnen begegnet ist, zu verallgemeinern und daraufhin adaptive Strategien zu entwickeln, also mit der Fähigkeit des maschinellen Lernens.
Um einen solchen Algorithmus zu trainieren, wird meist die Methode des supervised learnings angewandt, also des überwachten und angeleiteten Lernens, doch das wahre Ziel ist die Methode des unsupervised deep learnings.
Algorithmen können entweder eine hohe Genauigkeit haben oder eine hohe Erkennungsrate, also entweder keine falsch positiven Ergebnisse erzielen oder wenig falsch negative. Es zeigen sich die Probleme von overfitting und bias. Overfitting bedeutet, dass ein Algorithmus Trainingsdaten ›auswendig gelernt‹ hat, anstatt zu lernen, daraus zu verallgemeinern. Bias wiederum bedeutet, dass ein Algorithmus selbst nach umfangreichem Training nicht in der Lage ist, irgendetwas Wesentliches über die Menge der Zielobjekte zu lernen, die er identifizieren soll.
Über die Funktionalität an sich hinausgedacht, offenbaren sich aber weitaus schwerwiegendere Probleme. Algorithmische Systeme sind nämlich die sprichwörtlichen »Black Boxes«, da sie zwar materielle Wirkungen in der Welt erzeugen, jedoch ohne notwendigerweise etwas darüber preiszugeben, wie sie dies getan haben. Setzt man solche Algorithmen im Management einer Stadt ein, so ist die Sprache der Algorithmen die der »vorausschauenden Überwachung«, der »skalierbaren Erkennung von Anomalien« und der »präventiven Kontrolle«.
Diese Algorithmen sollten laut Adam Greenfield als das gesehen werden, was sie wirklich sind: eine Reihe von technischen Gegenmaßnahmen gegen die Freiheit und Schritte in Richtung der Beseitigung von Freiheiten, die wir seit den Anfängen der modernen Öffentlichkeit genießen.
Künstliche Intelligenz entmachtet den menschlichen Verstand
Adam Greenfield sieht den Kern des Lernens, ob menschlich oder maschinell, darin, die Fähigkeit zu entwickeln, Muster zu erkennen, zu verstehen und schließlich zu reproduzieren. Im Gegensatz zu uns Menschen kann jeder Algorithmus, der in der Lage ist, überhaupt zu lernen, dies jedoch unbegrenzt tun und so hunderte oder tausende von menschlichen Lerntagen in jede 24-Stunden-Periode zwängen.
Als große Bastion der menschlichen Besonderheit galt stets die Kunst. Doch wurde dieser Gedanke unter anderem von der künstlichen Intelligenz (KI) des Projektes »Next Rembrandt« beschädigt. Dieser Algorithmus sollte zunächst einmal die Merkmale ermitteln, die Rembrandt zu Rembrandt machen und entwickelte dafür Parameter, die jeden Aspekt seiner Arbeit bestimmen, von der Wahl des Motivs und des Beleuchtungswinkels bis hin zu den genauen Proportionen des ›typischen‹ Rembrandt-Auges – oder der Nase oder des Ohres. Letztendlich schuf diese KI ein Porträt von einer Person, die es nie gab, im einzigartigen Stil des Künstlers.
Eine universell betrachtet vielleicht noch beeindruckendere Leistung erzielte die KI »AlphaGo«, welche einen der besten menschlichen Meister des Spiels Go schlug. Das Spiel bietet eine unfassbare Menge an möglichen Spielzügen. Man sollte sich aber darüber bewusst sein, dass AlphaGo eine allgemein lernende Maschine ist, die hier lediglich auf die Regeln des Go-Spiels angewandt wurde, weil das die größte Herausforderung war, die ihre Entwickler sich vorstellen konnten.
Auch wenn Systeme, die auf der aktuellen Generation von Lernalgorithmen basieren, selbst bei kleinsten Abweichungen zu ihren Trainingsdaten ins Straucheln geraten, so macht Adam Greenfield deutlich: Die vorliegenden Erkenntnisse deuten darauf hin, dass autonome algorithmische Systeme in relativ naher Zukunft ein faktisch menschliches Niveau an kognitiven Fähigkeiten erreichen werden. Es ist überhaupt nicht klar, welches Ereignis oder welcher Prozess sie daran dauerhaft hindern könnte.
Radikale Technologien formen unseren Alltag
Die großen Unternehmen, die radikale Technologien unter sich vereinen, werden auch als »the Stacks« bezeichnet. Sie verfolgen die Strategie der vertikalen Integration, mit der sie versuchen, das Netz sowie die Plattformen, Anwendungen, physischen Geräte und Inhalte, die darauf laufen und damit verbunden sind, zu kontrollieren. Die Stacks innovieren dabei oft durch Akquisition. Auf diese Weise kann eine große Anzahl separater digitaler Technologien, die zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten und voneinander völlig unbekannten Personengruppen entwickelt wurden, zu einem einzigen funktionalen Ensemble von größerem Umfang und größerer Bedeutung zusammengefügt werden.
Jedes der Stacks verfolgt nach Adam Greenfield das gleiche Ziel: Das tägliche Leben so weit wie möglich zu mediatisieren und zu monetarisieren. Adam Greenfield veranschaulicht, dass es bereits jetzt schwierig ist und immer schwieriger für jeden wird, sich mit moderner Technologie auszustatten, ohne dem allumfassenden Einfluss der Stacks ausgesetzt zu sein.
Der Einfluss auf unser Leben zeigt sich unter anderem am Beispiel von Amazon. Amazon besitzt die Rechenzentren, die Infrastruktur für den Vertrieb und die Auftragsabwicklung, die Präsenz in unseren Wohnzimmern, die Daten, die bei jeder Benutzerinteraktion und jeder physischen Lieferung anfallen, und natürlich einen Anteil an den Einnahmen, die durch den Konsum von Inhalten entstehen.
Die extremen Auswirkungen von Stacks, insbesondere in Zusammenarbeit mit dem Staat, zeigen sich im »social credit« Bewertungsmechanismus der chinesischen Regierung. Dieser Mechanismus verschmilzt Smartphone-, Wearable- und Internet-of-Things-Technologien mit herkömmlichen Social-Networking-Diensten zu einem Verhaltensbeobachtungs- und -kontrollsystem.
Zusammenfassung
In dem Buch wird offensichtlich, dass die wirklich radikalen Veränderungen sich nicht aus einer einzelnen Technologie ergeben werden, sondern aus der Kombination mehrerer technischer Innovationen. Oft dienen diese als fortschrittlich angepriesenen Technologien aber meist nur den Zielen weniger. Dadurch, dass man die Technologien kritisch hinterfragt, ist es uns jedoch möglich, einen positiven Wandel herbeizuführen. Dieses Buch soll dabei helfen, die Technologien verstehen zu lernen und dadurch besser urteilen zu können.