Problemstellung
Präsentieren gehört heute zu den Schlüsselkompetenzen im Studium und Berufsalltag. Doch viele junge Menschen fühlen sich in Präsentationssituationen unsicher. Zwar sind Inhalte oft gut vorbereitet – doch Körpersprache, Stimme und Auftreten bleiben unbewusst oder widersprüchlich.
Klassische Trainings vermitteln häufig starre Regeln oder fokussieren auf technische Aspekte wie Kameraposition und Blickkontakt. Digitale Tools setzen auf KI-Feedback, bleiben jedoch meist auf Sprache und Formulierung beschränkt.
Hier setzt meine Bachelorarbeit an: Mit „AHA!“ habe ich ein digitales Gruppenspiel entwickelt, das Präsentationskompetenz spielerisch trainierbar macht – über theaterpädagogische Methoden, soziale Interaktion und bewusste Erfahrung. Ziel ist es, einen Raum zu schaffen, in dem Wirkung nicht analysiert, sondern erspürt wird.
Relevanz
You can have brilliant ideas, but if you can’t get them across, your ideas won’t get you anywhere.
Die Fähigkeit, überzeugend aufzutreten, ist in vielen Lebensbereichen entscheidend – ob im Bewerbungsgespräch, beim Pitch oder im Seminar. Trotzdem bleibt Präsentationskompetenz oft ein blinder Fleck im Bildungssystem.
Studien und eigene Umfragen zeigen: Junge Menschen wünschen sich spielerische, ehrliche und soziale Lernformate – mit mehr Feedback, mehr Selbsterkenntnis und weniger Leistungsdruck.
Das Spiel „AHA!“ reagiert auf diesen Bedarf: Es schafft einen niederschwelligen Erfahrungsraum, der individuelles Auftreten, Gruppendynamik und Körpersprache bewusst macht – ohne zu bewerten, aber mit Aha-Effekt.
Wirkungsebenen
Das Spiel „AHA!“ basiert auf vier zentralen Wirkungsebenen: Körpersprache, unterstützende Gestik, Stimme und inhaltliche Struktur. Diese Ebenen bilden das Fundament jeder Präsentation – bewusst oder unbewusst. Um genau dieses Zusammenspiel erfahrbar zu machen, ist das Spiel modular aufgebaut.
Zu Beginn trainieren die Spielenden gezielt nur eine Wirkungsebene pro Modul. So entsteht ein klares Gefühl dafür, wie zum Beispiel allein durch Mimik oder nur durch Stimmlage Bedeutung erzeugt werden kann. Die Übungen sind so gestaltet, dass sie auf einer Ebene fokussieren und dadurch gezielte Aha-Momente ermöglichen.
In späteren Modulen werden diese Wirkungsebenen nach und nach kombiniert. Körpersprache trifft auf Stimme, Inhalt auf Gestik – oft auch in widersprüchlicher Form. Dadurch entstehen komplexere Spielsituationen, die näher an realen Präsentationen liegen und das Zusammenspiel der Ausdrucksformen bewusst machen.
Diese strukturierte Steigerung dient nicht nur dem Lerneffekt – sie lädt die Spielenden dazu ein, ihre Ausdrucksformen schrittweise zu entdecken, bewusst zu steuern und kreativ miteinander zu verweben. Präsentieren wird so nicht zur Technik, sondern zur erlebbaren Fähigkeit, sich selbst wirkungsvoll mitzuteilen.
Die Spielmodule
Die Spielmodule in „AHA!“ folgen einer klaren, wiederkehrenden Struktur, die den Lernprozess bewusst steuert. Zu Beginn wird eine Aufgabe gestellt – meist bezogen auf eine bestimmte Wirkungsebene wie Stimme, Körpersprache oder Inhalt. Anschließend werden Rollen verteilt: Wer spielt, wer beobachtet, wer bewertet.
Während der Durchführung beobachten die Zuschauer:innen aktiv und geben direktes Feedback – z. B. über digitale Skalen auf ihren Handys. Nach der Spielrunde werden die gesammelten Rückmeldungen sichtbar gemacht: Wer wurde wie wahrgenommen? Wer hat besonders überzeugt? Die Gruppe reflektiert gemeinsam, was gewirkt hat – und warum.
Diese Auswertung mündet schließlich in den zentralen Aha-Moment jeder Runde: Eine Erkenntnis, die nicht erklärt wird, sondern sich aus dem gemeinsamen Spiel ergibt – durch Beobachtung, Vergleich und Perspektivwechsel.
Die folgenden vier Module geben einen exemplarischen Einblick in diesen Ablauf – und zeigen, wie vielfältig, zugänglich und zugleich tiefgehend Präsentationstrainings sein können, wenn man sie spielerisch denkt.
Der erste Eindruck
Wirkungsebene: Symbolische Körpersprache
Ablauf:
Ohne Worte tritt eine Person vor die Gruppe – und wird live entlang von Skalen bewertet: offen – verschlossen, nahbar – distanziert, usw. Nach der Runde vergleicht die Person Fremd- und Selbsteinschätzung.
Das Spiel sensibilisiert für Körpersprache und Selbstbild – und zeigt, wie stark nonverbale Wirkung oft unterschätzt wird. Es gibt keine Punkte, sondern eine direkte Wahrnehmungserfahrung.
Widerspruch
Wirkungsebene:
Stimme + Körpersprache
Ablauf:
Hier kollidieren Ausdrucksebenen bewusst: Ein Satz wird mit neutraler Stimme gesprochen, während die Körpersprache eine Emotion vermittelt. Die Gruppe bewertet beides separat.
Ziel ist es, die Wirkung von Inkongruenz bewusst zu spüren. Punkte gibt’s für Klarheit in der Körpersprache und Neutralität der Stimme – oder eben nicht.
Stimme allein
Wirkungsebene:
Stimmebene
Ablauf:
Ein Satz wird mit einer bestimmten Emotion gesprochen – ganz ohne Mimik oder Bewegung. Die Gruppe beurteilt, welche Emotion gemeint war, und wie neutral der Körper blieb.
Das Spiel zeigt, wie stark Stimme für sich wirken kann – aber auch, wie leicht sie fehlinterpretiert wird. Punkte gibt’s für richtig erkannte Emotionen und körperliche Kontrolle.
Symbol-Story
Wirkungsebene:
Stimme + Körpersprache + Inhalt
Ablauf:
Jede:r bekommt 9 zufällige Symbole und muss daraus eine spontane Geschichte formen. Zuschauer:innen liken live und bewerten danach auf Skalen wie „stimmig – wirr“ oder „überraschend – vorhersehbar“.
Das Spiel fördert spontane Erzählkompetenz, Strukturgefühl und kreative Präsenz – ohne Vorbereitung, aber mit viel Wirkung. Punkte entstehen durch Likes und Bewertungsskalen.
Design
Die Gestaltung von „AHA!“ ist bewusst expressiv, lebendig und auffällig gehalten – sie spiegelt das zentrale Ziel des Spiels wider: Präsenz zeigen, Wirkung entfalten, sich sichtbar machen. Statt auf Zurückhaltung zu setzen, nutzt das Design kraftvolle Farben, verspielte Formen und eine aktive Bildsprache, die Mut zur Sichtbarkeit vermittelt.
Dabei geht es nicht um klassische Benutzerführung, sondern um Atmosphäre. Die visuelle Sprache soll aktivieren, den Spielcharakter betonen und das performative Element unterstreichen. Elemente wie unregelmäßige Linien, handgezeichnete Icons und symbolhafte Figuren am Spielende betonen das Unperfekte und Persönliche – ganz im Sinne des Konzepts.
„AHA!“ versteht Gestaltung nicht als neutrale Oberfläche, sondern als Teil des Erlebnisses. Die visuelle Umsetzung unterstützt die Spiellogik, erzeugt Orientierung und verstärkt die emotionale Wirkung – ohne von der zentralen Erfahrung im Raum abzulenken: dem Moment, in dem man sich zeigt.
Am Ende des Spiels folgt eine besondere Auswertungsphase: Die Teilnehmenden vergeben auf Grundlage des gesamten Spielverlaufs Einschätzungen zu jeder Person – bezogen auf das, was sie voneinander gelernt oder beobachtet haben. Aus diesen Rückmeldungen wird für jede Person eine Teamrolle nach dem Belbin-Modell generiert – etwa „Macher:in“, „Koordinator:in“ oder „Beobachter:in“.
Die Rollenzuteilung ist kein Leistungstest, sondern ein wertschätzender Reflexionsimpuls. Sie hilft den Spieler:innen, sich mit einer Rolle zu identifizieren, die ihre Wirkung im Gruppenkontext aufgreift – und bietet gleichzeitig konkrete Tipps, wie sie ihre individuellen Stärken gezielt einsetzen können.
Dazu wurden eigens passende Illustrationen und Kurzbeschreibungen entwickelt, die die Rolle visuell greifbar machen und durch kleine Handlungsempfehlungen ergänzen. So entsteht ein persönlicher Aha-Moment zum Abschluss – der nicht bewertet, sondern bestärkt.
Realisierung
Die Entwicklung von „AHA!“ erfolgte iterativ – von einer ersten Idee über ein analoges Toolkit bis hin zum digitalen Gruppenspiel. In mehreren Phasen wurde das Konzept getestet, geschärft und weiterentwickelt: durch Theaterseminare, ein Kindercamp, Interviews mit Expert:innen sowie Rückmeldungen aus der Gründergarage und einer groß angelegten Online-Umfrage.
Ziel war es, ein digitales Format zu gestalten, das technisch simpel bleibt – aber eine komplexe Gruppenerfahrungermöglicht. Das Spiel läuft über einen Hauptbildschirm und mehrere Smartphones, gesteuert durch eine Weboberfläche. Die digitale Technik tritt dabei bewusst in den Hintergrund: Sie strukturiert das Spiel, ohne die soziale Interaktion zu überlagern.
Die Gestaltung und Funktionsweise wurden mit mehreren Prototypen erprobt – von Papierkarten bis hin zu klickbaren Testversionen. So konnten Spielabläufe, Rollenlogik und Wirkungseffekte frühzeitig überprüft und optimiert werden.
„AHA!“ wurde nicht linear entworfen, sondern spielerisch entwickelt – ganz im Sinne des Konzepts: ausprobieren, wahrnehmen, anpassen. Das Ergebnis ist ein Gruppenerlebnis, das digitale Mittel nutzt, um Präsenz und Ausdruck im echten Raum sichtbar zu machen.
Trailer Video
Autor
Betreuung
Jennifer Brodt
Prof. Damian Gerbaulet