Resilienz in der digitalen Gesellschaft. Mediennutzung in Zeiten von Krisen Kriegen und KI.
Im Buch „Resilienz in der digitalen Gesellschaft“ geht es darum, wie Menschen, Medien und Gesellschaften in einer von Krisen, Desinformation und KI geprägten Welt widerstandsfähig bleiben. Grundlage ist eine forsa-Studie mit 1.001 Teilnehmenden zur digitalen Nutzung und Belastung innerhalb Deutschlands.
I. Über die Autoren
Leif Kramp ist Forschungskoordinator des ZeMKI (Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung) an der Universität Bremen, wo er seit 2011 forscht und lehrt. Seine Schwerpunkte umfassen Journalismusforschung, Medien- und Kommunikationsforschung sowie globalen Medienwandel.
Stephan Weichert ist Soziologe, Medienwissenschaftler und Transformationsforscher. Er ist Professor am Zentralinstitut für Weiterbildung und Transfer an der Universität der Künste Berlin und leitet den berufsbegleitenden Masterstudiengang Digital Journalism an der Hamburg Media School (HMS). Er beschäftigt sich in seiner Forschung mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Gesellschaft, Demokratie und Politik.
II. Definition und Relevanz von Resilienz
Resilienz (abgeleitet vom lateinischen resilire) bedeutet so viel wie „zurückspringen“, „abprallen“ oder „widerstandsfähig“ sein. Resilienz beschreibt die Fähigkeit, Krisen möglichst gut zu überstehen, sich von ihnen zu erholen und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Wer resilient ist, kann neue Umweltrealitäten leichter adaptieren und schneller mit diesen zurechtkommen.
Im Zeitalter der digitalen Medien ist Resilienz bedeutender denn je und wird als zentrale Meta-Kompetenz in der digitalen Gesellschaft benötigt, um mit zahlreichen Herausforderungen und Stressfaktoren umzugehen.
Die Notwendigkeit von Resilienz ergibt sich aus folgenden Herausforderungen:
Aufmerksamkeitsverlust, News-Burnout und Vertrauensverlust. Wenn Menschen ihren Nachrichtenkonsum aufgrund mentaler Überforderung oder Vertrauensverlusts reduzieren, stellt dies eine zentrale Herausforderung in der digitalisierten Medienwelt dar.
Fake News & Desinformation sind eine erhebliche Bedrohung für demokratische Prozesse. Das Weltwirtschaftsforum stuft Fake News im Jahr 2024 als das „größte globale Risiko unserer Zeit“ ein.
KI wird zur neuen Steuerungseinheit unseres Lebens. Generative KI birgt erhebliche Risiken, wie die Täuschung der Öffentlichkeit und die Verbreitung von Desinformationen, da sie Inhalte produzieren kann, die teils kaum von menschlichen zu unterscheiden sind.
»Nie zuvor waren wir so informiert – und zugleich so überfordert von der schieren Menge an Informationen.«
III. Digitale Resilienz als Mehrebenen-Modell
Der Ansatz der Digitalen Resilienz sieht Resilienz als neue Querschnittskompetenz der digitalen Gesellschaft, die über die psychologische Widerstandsfähigkeit hinausgeht.
Folgende Ebenen und deren Verantwortlichkeiten existieren innerhalb unserer Gesellschaft:
Makro-Ebene (Gesellschaft & Politik):
Schutz der Privatsphäre und Förderung gemeinwohlorientierter digitaler Infrastrukturen
Aushandlung gesellschaftlicher Werte und des Gemeinwohls im Sinne einer demokratischen Grundordnung
Entwicklung innerer Stabilität und mentale Resilienz der Gesellschaft
Meso-Ebene (Organisation & Medien):
Transparenz des Datenhandelns von Unternehmen und Plattformen sowie die Verantwortung der Medienhäuser
Förderung von Innovation und ethischer Technologie
Gestaltung von resilienter Strukturen, Abläufen und Mitarbeitenden der Medienorganisationen
Mikro-Ebene (Individuum):
informationelle Selbstbestimmung
reflektierter Umgang mit Daten
psychische Widerstandskraft
Medienkompetenz
Was sind die Herausforderungen der digitalen Resilienz?
Der Kern der Digitalen Resilienz besteht auf fünf unterschiedlichen, aufeinander aufbauenden Ebenen (gelesen von unten nach oben):
- Werte und Gemeinwohl:
Digitale Resilienz braucht eine ethische Grundlage: Fairness, Teilhabe und Verantwortung müssen leitende Prinzipien im digitalen Raum bleiben. - Diskurse und (Teil-)Öffentlichkeit:
In digitalen Räumen entscheidet sich, wie wir miteinander sprechen. Polarisierung, Desinformation und Hate Speech gefährden dabei den konstruktiven Dialog. - Vernetzung und Konnektivität
Unsere ständige digitale Vernetzung schafft Gemeinschaft und Austausch, kann aber auch Abhängigkeit und Reizüberflutung verstärken. - Technologie und Innovation
Technologische Entwicklungen bringen Fortschritt, bergen aber auch Risiken. Entscheidend ist, Innovation verantwortungsvoll und menschenzentriert zu gestalten. - IT- und Datensicherheit
Sie bildet das technische Fundament digitaler Resilienz. Nur wenn Daten geschützt und digitale Infrastrukturen sicher sind, kann Vertrauen entstehen.
Die Resilienz und ihre Funktionen wirken auf allen Ebenen stabilisierend und als Lernmechanismus. Es geht um die Unterstützung von Individuen, Organisationen und Gesellschaften, die Anpassung an neue Bedingungen, das Meistern von Herausforderungen im digitalen System und daraus resultierende technologische Stärke zu entwickeln.
Der Journalismus und seine Funktionen liefern in den unterschiedlichen Ebenen beispielsweise Informationen, stärken durch die Arbeit die Glaubwürdigkeit dieser Informationen und tragen maßgeblich zur Meinungsbildung bei.
Zeitgleich wirken unterschiedliche Krisen wie z. B. der Klimawandel, politische/soziale Polarisierungen oder auch wirtschaftliche Ungleichheiten auf die digitale Resilienz im Gesamten ein.
IV. Wie häufig sind wir online?
Heutzutage werden wir überflutet mit Informationen und die digitale Welt ist aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken.
Nutzungsdauer: 93 % der Deutschen gehen ins Internet, 92 % nutzen es täglich.
Intensivnutzung: 21 % der Bevölkerung sind jeden Tag sieben Stunden oder mehr online. Die Hälfte der Deutschen verbringt ungefähr drei oder mehr Stunden online (51 %).
Altersunterschiede: Bei den unter 30-Jährigen verbringen sogar acht von zehn Befragten mehr als drei Stunden pro Tag online. Bei dieser Altersgruppe liegt die tägliche Nutzungsdauer bei über 7 Stunden.
Gerätenutzung: Das Smartphone ist zum Alltagsbegleiter geworden und wird von 93 % der deutschen Online-Nutzer verwendet.
V. Warum sind wir online?
Die Motive für die Internetnutzung sind vielfältig.
Hauptmotive für Internetnutzung:
44 % Information (Nachrichten, Recherchen)
22 % Kommunikation (Social Media, Messenger)
16 % Unterhaltung (Streaming, Spiele)
Nur 15 % der Befragten nutzen alle drei Motive gleichermaßen.
Altersunterschiede bei Motiven: Jüngere Menschen lassen sich lieber unterhalten (34%) als sich mit anderen Nutzern auszutauschen (27%) oder sich zu informieren (24%). Menschen ab 50 Jahren treibt dagegen ein starkes Informationsbedürfnis (55%) an.
VI. Welche Folgen hat unser Konsum?
Die hohe Nutzungsdauer bringt negative Folgen mit sich.
Kontrollverlust: 72 % der unter 30-Jährigen meinen, sie hingen zu viel oder deutlich zu viel am Handy. Bei den 30- bis 49-Jährigen sind es immerhin 56 Prozent.
Social-Media-Überlastung: Knapp sechs von zehn Nutzern sozialer Netzwerke (14 bis 29 Jahre) bewerten ihre Nutzung als „zu viel“ oder „deutlich zu viel“. Insgesamt empfinden 55 % der Social-Media-Nutzer ihre Nutzung als „zu viel“.
Psychische Belastung (Digitaler Stress): 40 % fühlen sich durch Social Media (Instagram) psychisch belastet. Stress durch Dauererreichbarkeit, digitale Informationsflut und den Druck schneller Kommunikationsentscheidungen belastet viele Menschen. 31 % berichten über Stress oder Schlafprobleme durch Dauer-Online-Sein.
Gerade Instagram-Hauptnutzer erleben besonders deutliche Abweichungen vom Durchschnitt in Bezug auf Stress.
Nachrichtenvermeidung (News Burnout): In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass Menschen ihren Nachrichtenkonsum aus Gründen der mentalen Überforderung reduzieren oder einstellen. Konkret versuchte ein Fünftel aller Befragten (20 %) unter dem Eindruck der Corona-Pandemie und ihrer Folgen, vor allem online weniger Nachrichten zu konsumieren, weil diese sie zunehmend belasten.
VII. Erkenntnisse und Risiken
Das Netz droht, wesentliche gesellschaftliche Leitlinien und den Zusammenhalt zu verlieren.
Fake News als demokratisches Risiko:
Desinformation gefährdet die demokratische Verständigung. Je häufiger der Begriff diskutiert wird, desto mehr Menschen nehmen an, dass alle digitalen Medienangebote anfällig für Desinformation sind (Fake-News-Fog).
Hasskultur und Polarisierung:
Die Diskurskultur in sozialen Netzwerken verroht. Niedrige Hemmschwellen begünstigen enthemmte Kommunikation und lassen den netzöffentlichen Raum moralisch verwahrlosen. Hass und Hetze werden von den Deutschen als gravierendes Problem erkannt.
News Burnout und digitale Erschöpfung:
Hohe Nutzungsfrequenz digitaler Endgeräte in Krisenzeiten führt zu Überlastung.
Verlust von Glaubwürdigkeit:
Journalistische Orientierungskraft gerät unter Druck, wenn Aufmerksamkeit wichtiger ist als Aufklärung. Der Journalismus wurde durch generative KI-Systeme in einen Abwärtsstrudel gezogen und musste bei seiner fundamentalen Rolle als vertrauenswürdige Informationsquelle einbüßen.
Fehlende Regulierung:
Plattformen entziehen sich demokratischer Kontrolle. Wenige kommerzielle Akteure dominieren die Ausgestaltung der Netzöffentlichkeit (Machtfrage).
Resilienz als Gemeinschaftsaufgabe:
Digitale Resilienz entsteht nicht nur individuell, sondern kollektiv. Die Komplexität der Herausforderungen macht die Bewältigung durch einzelne Nutzer nahezu unmöglich.
VIII. Resilienz-Tipps: Digitale Entrümpelung
Um Stress und Suchtverhalten zu reduzieren und mehr Selbstwirksamkeit statt Fremdsteuerung zu fördern, sind Coping-Strategien und Resilienzkonzepte notwendig. Die Autoren empfehlen zehn Tipps zur „Digitalen Entrümpelung“:
Bildschirmzeit regelmäßig kontrollieren.
Unnötige Apps (insbesondere Social-Media-Anwendungen) löschen oder nur auf dem Desktop-PC nutzen, um Zeitfresser zu eliminieren.
Push-Benachrichtigungen deaktivieren und das Smartphone konsequent auf lautlos stellen, um den Impuls zur sofortigen Reaktion zu kontrollieren.
Feste Offline-Zeiten einplanen und bewussten Verzicht von digitalen Medien an zuvor definierten Orten (z. B. auf der Toilette, im Schlafzimmer, beim Abendbrot) üben.
Informationsquellen kritisch prüfen (Plausibilitäts-Check) und sich niemals von professioneller Berichterstattung abwenden, da Journalismus bekannter Medienmarken die zuverlässigste Informationsquelle bleibt.
Online-Zeit bewusst planen, indem ein „Digitalnutzungs-Deal“ mit sich selbst gemacht wird.
Social-Media-Diät: Das suchtartige Checken und Scrollen einschränken; mutige Nutzer können alle Social-Media-Accounts löschen oder ihre Aktivitäten auf maximal einen fokussieren.
Digitale Routinen ändern (z. B. mobilen Datenverkehr abstellen, wenn man unterwegs ist, oder den Bildschirm testweise auf monochrom stellen).
Offline-Aktivitäten und reale Kontakte stärken (z. B. mehr Zeit in der Natur verbringen oder einem Hobby nachgehen – ganz ohne Handy).
Digitale Selbstwirksamkeit fördern & Kontrolle zurückgewinnen durch achtsames Handeln und Transparenz über die Funktionsweise digitaler Informationsquellen.
IX. Sprungbretter
Insgesamt sind aus den Informationen des Buches folgende drei Ansätze für einen Service entstanden:
Plattform-Transparenz
Problem: „Plattformen entziehen sich demokratischer Kontrolle“
Ansatz: Visualisierung und Vermittlung algorithmischer Prozesse:
Transparente Daten-Interfaces dienen dem Nutzer zur Information, wie bestimmte Daten gesammelt und verarbeitet werden. Dies ermöglicht einen bewussteren und gesünderen Umgang mit digitalen Medien.
Geschützte Räume im Web
Problem: Verlust journalistischer Glaubwürdigkeit & Fake News
Ansatz: Gestaltung von digitalen „Trust Spaces“:
Eine Plattform, die Quellen verifiziert und Zusammenhänge erklärt und auf einer visuell klaren Darstellung von Fakten, Quellen, Emotionen basiert.
Informationsüberflutung & News Burnout
Problem: Menschen vermeiden Nachrichten, weil sie sie emotional belasten oder überfordern
Ansatz: Emotionaler Nachrichtenfilter
Nutzer haben die Möglichkeit, ihre Inhalte nach gewissen Kriterien zu filtern.
X. Fazit
Digitale Resilienz wird als „Superkraft“ unserer Zeit verstanden. Sie ist eine langfristige und nachhaltige soziale Meta-Kompetenz.
Das Konzept verbindet technische, mentale und soziale Widerstandskraft. Ziel ist es, Mechanismen für einen maß- und verantwortungsvollen Einsatz digitaler Technologie zu entwickeln, ohne dass die Demokratie zerbricht.
Die Notwendigkeit Digitaler Resilienz ist nicht von der Hand zu weisen, da globale Veränderungsprozesse (wie Klimawandel oder politische Dynamiken) unmittelbare und negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben.
Es ist essenziell neue Methoden und Techniken zur Resilienzsteigerung zu entwickeln, da exzessive Nutzung digitaler Endgeräte potenzielle Bedrohungen gegen soziale Strukturen und das demokratische Gemeinwesen darstellt.
»Erst wenn wir als Gesellschaft im Digitalen resilienter werden, können wir Demokratie resilient gestalten.«