Nexus - Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz

In seinem Werk „Nexus“ untersucht der Historiker Yuval Noah Harari, wie Informationsnetzwerke seit der Steinzeit unsere Gesellschaften, unser Denken und unsere Machtstrukturen prägen und welche Rolle die künstliche Intelligenz als erstes nichtmenschliches Mitglied dieser Netzwerke in Zukunft spielen wird.

Harari ist bekannt für seine großen historischen Bögen, die er zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zieht. Auch in Nexus verknüpft er Geschichte und Technologie, um zu zeigen, dass der Kampf um Wahrheit, Kontrolle und Vertrauen so alt ist wie die Menschheit selbst.


Vom gesprochenen Wort zur künstlichen Intelligenz

Harari zeichnet die Entwicklung der Informationsnetzwerke als eine Abfolge tiefgreifender Revolutionen.

1. Mündliche Kommunikation – Wissen aus Worten
Am Anfang stand das gesprochene Wort. Über Erzählungen, Mythen und Rituale schufen Menschen gemeinsame Wahrheiten. Doch mit jeder Weitergabe veränderten sich Geschichten. Informationen verzerrten sich, wurden vergessen oder manipuliert. Wahrheit war immer das, was eine Gemeinschaft glaubte.

2. Schrift – Wissen wird Macht
Die Erfindung der Schrift machte Wissen dauerhaft, aber auch exklusiv. Lesen und Schreiben war Privileg der Eliten: Priester, Beamte, Verwalter. Harari zeigt, dass Information dadurch „institutionalisiert“ wurde, sie lag in Archiven, Tempeln und Palästen, kontrolliert von wenigen.
Wissen bedeutete Macht, und Macht sicherte den Zugang zu Wissen.

3. Buchdruck – Wissen für alle
Mit Gutenbergs Buchdruck im 15. Jahrhundert erlebte die Welt eine Informationsrevolution. Plötzlich konnten Ideen massenhaft verbreitet werden, Reformation, Wissenschaft und Aufklärung wären ohne diese Technologie undenkbar.
Doch die neue Freiheit brachte auch neue Probleme: Propaganda, religiöse Spaltungen und Informationsüberflutung. Wahrheit wurde zur Frage der Quelle.

4. Massenmedien – Information wird zentralisiert
Im 20. Jahrhundert übernahmen Zeitungen, Radio und Fernsehen die Deutungshoheit. Wenige Redaktionen und Sender bestimmten, was Millionen Menschen wussten. Diese neue Form von Informationsnetzwerk schuf Stabilität, aber auch Abhängigkeit. Macht lag wieder bei wenigen.

5. Internet – Wissen wird grenzenlos
Das Internet versprach die Demokratisierung der Information. Jeder kann publizieren, jeder kann teilhaben. Doch heute sind es nicht mehr Priester oder Verlage, sondern Algorithmen, die bestimmen, was sichtbar ist. Harari betont: Diese Systeme sortieren nicht nach Wahrheit, sondern nach Aufmerksamkeit. Likes, Klicks und Reichweite ersetzen journalistische Verantwortung.

So wiederholt sich ein altes Muster: Informationsnetzwerke befreien und binden zugleich.


Das Zeitalter der KI – das erste nichtmenschliche Mitglied

Mit der künstlichen Intelligenz tritt laut Harari erstmals ein nichtmenschlicher Akteur in dieses Netzwerk ein. Zum ersten Mal verarbeitet ein System Informationen nicht nur schneller, sondern auch eigenständig. Es kann Muster erkennen, Fehler korrigieren und Entscheidungen treffen.

Diese Entwicklung sieht Harari ambivalent:
Einerseits könnte KI helfen, Fehler menschlicher Systeme zu erkennen, Wissen zu erweitern und Prozesse gerechter zu gestalten. Andererseits droht ein Verlust an Kontrolle, denn viele Entscheidungen der KI sind für Menschen nicht mehr nachvollziehbar.

Wir schaffen also ein Informationsnetzwerk, das intelligenter, aber undurchsichtiger ist als wir selbst.


Beispiele aus der Gegenwart

Harari illustriert seine Warnungen mit realen Beispielen:

Im Iran werden KI-Kameras genutzt, um Frauen ohne Kopftuch automatisch zu identifizieren. Hier dient Information nicht der Aufklärung, sondern der Überwachung – ein modernes Beispiel dafür, wie Netzwerke zur Kontrolle werden.

Bei Amazon sortierte eine Bewerbungs-KI Frauen aus, weil sie aus alten Daten lernte, in denen Männer bevorzugt wurden. Die Maschine lernte Diskriminierung, nicht weil sie „böse“ war, sondern weil sie die Fehler ihrer Schöpfer reproduzierte.

Diese Beispiele zeigen, dass KI alte Muster menschlicher Informationssysteme wiederholt, nur schneller und mit größerer Reichweite.


Arbeit im Wandel

Harari überträgt seine Analyse auch auf den Arbeitsmarkt. KI ersetzt nicht einfach Menschen, sie verändert ihre Aufgaben.

Ein Arzt wird künftig Diagnosen von einer KI prüfen lassen, während die Arzthelferin mit Patientinnen und Patienten kommuniziert und Vertrauen schafft. Empathie bleibt unersetzlich.

Ein Richter kann sich von einem Algorithmus beraten lassen, der Daten objektiver bewertet als ein Mensch, doch die moralische Verantwortung bleibt beim Menschen selbst. Harari betont, dass Maschinen unsere Fehler nicht beseitigen, sondern sie sichtbarer machen.

Er fasst es so zusammen:

„Unser großes Problem wird nicht der Mangel an Arbeitsplätzen sein,
sondern die Umschulung von Arbeitskräften und die Anpassung
an einen sich ständig verändernden Arbeitsmarkt.“
Yuval Noah Harari

Die Herausforderung der Zukunft ist also nicht die Automatisierung, sondern die Anpassung. Das ständige Lernen in einer Welt, die sich selbst beschleunigt.


Hararis Fazit – Fortschritt oder Kontrollverlust?

Harari zieht ein vorsichtiges Fazit. Neue Technologien sind weder gut noch böse, sie spiegeln die Menschen, die sie erschaffen. Immer wieder habe die Geschichte gezeigt, dass Innovation zunächst Chaos bringe, bis Gesellschaften lernen, sie sinnvoll zu nutzen.

Er schreibt:

„Neuartige Technologien enden oft in historischen Katastrophen,
nicht weil sie schlecht sind, sondern weil Menschen erst mit der Zeit lernen, sie vernünftig zu nutzen.“
Yuval Noah Harari

Nexus ist deshalb keine klassische Zukunftsvision, sondern eine historische Spiegelung. Harari zeigt, dass die KI nicht das Ende, sondern die logische Fortsetzung eines uralten Prozesses ist: die Suche nach Wahrheit in einer Welt, die von Information beherrscht wird.

Seine Botschaft lässt sich in einem Satz zusammenfassen:
KI ist kein Feind, sondern ein Spiegel unserer Verantwortung. Die Frage ist nicht, wie klug Maschinen werden, sondern ob wir klug genug sind, sie richtig zu führen.


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