Filterworld – How Algorithms Flattened Culture
Das Buch Filterworld, vom US-amerikanischen Author Kyle Chayka beschreibt, wie Algorithmen unsere digitalen Erlebnisse in Suchergebnissen, Feeds und Streaming-Empfehlungen steuern. Dieses weitreichende Netzwerk beeinflusst maßgeblich unser Leben und den Konsum von Kultur, mit dem Ergebnis einer kulturellen Homogenisierung.
Über den Autor
Kyle Chayka ist ein amerikanischer Journalist und Kulturkritiker. Seine Arbeit beschäftigt sich zentral mit der Schnittstelle von Technologie und Kultur .
Bekannt ist er als Redakteur bei The New Yorker, wo er die Kolumne "Infinite Scroll" schreibt, in der er regelmäßig die Auswirkungen des Internets und digitaler Kultur beleuchtet. Bevor er mit "Filterworld: How Algorithms Flattened Culture" (2024) die algorithmische Steuerung unserer Erfahrungen untersuchte, veröffentlichte Chayka bereits im Jahr 2020 das Sachbuch "The Longing for Less: Living with Minimalism". Dieses frühere Werk etablierte ihn als Beobachter moderner Ästhetik, indem es die Evolution und die tiefere Bedeutung der Minimalismus-Bewegung untersuchte.
Kernaussage
Chaykas zentrale Analyse konzentriert sich auf die tiefgreifenden Konsequenzen der algorithmischen Steuerung für die Kulturproduktion und den Kulturkonsum. Das Buch argumentiert, dass die Dominanz dieser Systeme zu einer Verflachung (Flattening) kultureller Vielfalt und zu einer Homogenisierung ästhetischer und inhaltlicher Erfahrungen führt. Es untersucht die Mechanismen, durch die Algorithmen die Wahrnehmung von Individualität und Authentizität in der digitalen Ära beeinflussen.
Vom chronologischen Feed zur Profitmaschine
Der entscheidende Wandel, der zur Filterworld führte, war der Umstieg von chronologischen Feeds hin zu algorithmischen Empfehlungen. Dieser Wechsel war laut Chayka weniger der Nutzerfreundlichkeit geschuldet als dem Profit.
Das primäre Ziel der großen Plattformen (Google, Meta & Co.) ist die Maximierung der Verweildauer der Nutzer, um möglichst viele Daten zu sammeln und die Aufmerksamkeit effizient an Werbetreibende zu verkaufen. Wachstum steht dabei über der Qualität der Nutzererfahrung. Der Markt wird heute von nur wenigen Unternehmen dominiert, wodurch es zu wenig alternative Optionen zur Navigation im Internet außerhalb algorithmischer Feeds gibt.
Die Kulturelle „Flatness“
Der Algorithmus übersetzt subjektive Dinge wie Geschmack in rein quantitative Daten wie Engagement-Raten und Klicks. Das Ergebnis dieser auf Metriken fixierten Logik ist die kulturelle „Flatness".
- Aufmerksamkeit wird zum einzigen Maßstab für Kultur, diktiert von Gleichungen aus dem Silicon Valley.
- Dies führt zu einer Homogenisierung und einer Reduktion auf das Einfachste und am wenigsten Disruptive oder Bedeutende.
- Ohne die algorithmischen Feeds gibt es praktisch kein Publikum mehr. Kreative sind gezwungen, ihre Werke an die „Container“ (die Formate von TikTok, Spotify etc.) anzupassen, um algorithmische Reichweite und Zugang zum Publikum zu erhalten.
- Diese Gleichförmigkeit beschränkt sich nicht nur auf digitale Räume, sondern formt über die „Algorithmic Globalisation“ auch die physische Welt. Online-Erscheinung überwiegt fast alles, wodurch Cafés, Bars und Geschäfte weltweit einheitlich und „Instagram-fähig" aussehen.
Der Verlust des Eigengeschmacks (Agency)
Die Bequemlichkeit der Algorithmen verleitet uns, die Verantwortung für unseren Geschmack an Maschinen zu „exportieren". Das Internet wird zu einer Reihe von Filterblasen, die uns von Ansichten und Kulturen isolieren, welche unseren eigenen Erfahrungen widersprechen.
Der Soziologe Pierre Bourdieu fasste es prägnant zusammen: „Geschmack klassifiziert, und er klassifiziert den Klassifizierenden". Es wird schwierig, organische soziale Codes von der Softwarelogik der Algorithmen zu unterscheiden. Dies führt bei vielen Nutzern zur „Algorithmic Anxiety", was sich in der Frage von Valerie Peter widerspiegelt:
„Ich bin seit 10 Jahren im Internet und ich weiß nicht, ob ich mag, was ich mag, oder was ein Algorithmus von mir will.“
Das Problem der fehlenden Verantwortung
Obwohl Plattformen wie eine essentielle, öffentliche Infrastruktur wirken, unterliegen sie kaum staatlicher Aufsicht. Die Algorithmen sind streng gehütete Geschäftsgeheimnisse, was Transparenz fast unmöglich macht.
Das US-Gesetz Section 230 verschärft das Problem der Verantwortung. Es besagt, dass Plattformen nicht als verantwortlich für von Dritten hochgeladene Inhalte behandelt werden. Das Resultat: Niemand ist aktuell für die Effekte der algorithmischen Empfehlungen verantwortlich. Dabei sind die Plattformen nicht neutral (wie Telefonleitungen), sondern fällen durch ihre Algorithmen aktiv Urteile und kuratieren die Inhalte.
Ausblick: Die Renaissance der Kuration und Agency
Der Ausweg aus der Filterworld liegt in der Rückgewinnung der Agency (Selbstbestimmung). Intentionalität verleiht Dingen Bedeutung.
Das Gegenkonzept zum passiven Konsum ist die Kuration. Kuration ist ein analoger Prozess, der menschliche Auswahl und Anordnung erfordert und nicht vollständig automatisiert werden kann.
- Es entstehen neue digitale Plattformen, die Kuration an die erste Stelle setzen und automatisierte Empfehlungen in den Hintergrund rücken.
- Das nächste Jahrzehnt könnte die Dezentralisierung wieder in den Fokus rücken.
- Wir müssen die Nachhaltigkeit und Spezifität von „Slow Food" auf unseren kulturellen Online-Konsum übertragen.
Chayka schließt mit einem inspirierenden Ausblick: Es steht eine Wahl bevor. Entweder steuern wir auf eine Flut künstlicher KI-Inhalte zu, oder wir erleben eine Renaissance der menschlichen Kreativität und Selbstbestimmung. Für uns als Gestalter der digitalen Zukunft ist dies ein inspirierender Aufruf, uns aktiv für eine post-algorithmische digitale Kultur einzusetzen.